Die türkische Lira steht erneut im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Zu Wochenbeginn erreichte sie ein neues Rekordtief gegenüber dem Euro – ein Ereignis, das die Märkte aufhorchen lässt. Während die Inflation zuletzt stärker zurückging als erwartet, richtet sich der Blick nun auf die nächste Zinsentscheidung der Zentralbank am 19. Juni. Diese könnte nicht nur Signalwirkung für die wirtschaftliche Entwicklung im Land haben, sondern auch für internationale Investoren von Bedeutung sein.
Inflationsrückgang als zweischneidiges Schwert
Auf den ersten Blick scheint es eine Erfolgsmeldung zu sein: Die Inflationsrate in der Türkei ist im Mai auf 35,41 Prozent gesunken – ein deutlicher Rückgang gegenüber den 37,86 Prozent im April und deutlich unter den Erwartungen vieler Analysten. Innerhalb eines Jahres hat sich die Teuerung damit mehr als halbiert. Dies wurde durch eine drastische geldpolitische Straffung erreicht: Seit Juni 2023 hat die türkische Zentralbank den Leitzins von 8,5 auf bis zu 50 Prozent angehoben.
Doch die positiven Inflationsdaten entpuppen sich als doppelbödige Nachricht. Nun wachsen nämlich die Spekulationen, dass die Zentralbank wieder zu einer lockereren Geldpolitik übergehen könnte. Ökonomen wie Erol Gürcan von Yatirim Finanzman halten eine Zinssenkung oder zumindest eine entsprechende Ankündigung für wahrscheinlich. „Da die Inflation besser ausfiel als erwartet, wird die Erwartung einer Zinssenkung auf der Sitzung im Juni steigen”, erklärte Gürcan gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Lira unter Druck – Carry-Trader alarmiert
Die Aussicht auf niedrigere Zinsen verstärkt den Abwärtsdruck auf die Lira. Zum Wochenbeginn markierte sie gegenüber dem Euro ein neues Allzeittief und bewegt sich auch gegenüber dem US-Dollar nahe historischer Tiefstände.
Besonders betroffen von dieser Entwicklung ist der sogenannte Carry-Trade, ein beliebtes, aber riskantes Handelsmodell. Dabei leihen sich Investoren Geld in Niedrigzinswährungen wie dem US-Dollar oder dem Yen und investieren in Hochzinsländer wie die Türkei. Solange die Lira stabil bleibt, locken zweistellige Renditen. Laut Bloomberg war die Türkei zuletzt sogar weltweit führend bei Dollar-basierten Carry-Trades.
Doch dieser Boom könnte nun sein Ende finden. Die türkische Zentralbank hat inzwischen signalisiert, dass sie spekulative Kapitalzuflüsse, auch „Hot Money“ genannt, nicht länger aktiv unterstützen will. Laut einer Analyse der US-Investmentbank Goldman Sachs arbeitet die Notenbank sogar gezielt auf eine Abschwächung der Lira hin, um solche kurzfristigen Investitionen zu bremsen. Auch die türkische Exportwirtschaft drängt auf eine schwächere Lira, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Risiko bleibt hoch – Vertrauen auf dem Prüfstand
Wie volatil und riskant das türkische Finanzumfeld derzeit ist, zeigte sich im März eindrücklich. Die überraschende Verhaftung des oppositionellen Bürgermeisters von Istanbul, Ekrem Imamoglu, führte zu einem panikartigen Abzug internationaler Investoren. Binnen Stunden flossen Milliarden ab – die Zentralbank musste mit Notverkäufen in Höhe von über 57 Milliarden US-Dollar gegensteuern. Ein kostspieliger Kraftakt, der die Währungsreserven belastete und das Vertrauen in die Stabilität der Geldpolitik erschütterte.
Das Prinzip des Carry-Trades ist schnell erklärt: Anleger leihen sich beispielsweise US-Dollar zu rund fünf Prozent Zinsen und investieren das Geld in türkische Staatsanleihen, die derzeit mit etwa 31 Prozent verzinst werden. Solange der Wechselkurs stabil bleibt, ergibt sich eine lukrative Differenz. Doch sobald die Lira an Wert verliert, kann der Ertrag innerhalb kürzester Zeit dahin sein.
Ungewisse Zukunft
Die kommenden Wochen dürften für Investoren turbulent werden. Viel hängt davon ab, wie die Zentralbank ihre Zinsentscheidung am 19. Juni kommuniziert. Eine echte Zinssenkung könnte einen weiteren Absturz der Lira auslösen, doch gut vorbereitetes Handeln könnte auch das Vertrauen wieder stärken.