Türkei: Klimakrise vor der Haustür – 1,6 Millionen Menschen an Marmara-Küste akut bedroht

30.09.2025 – 8:00 Uhr

Eine neue internationale Klimastudie warnt eindringlich vor den dramatischen Folgen des Klimawandels für die Küstenregionen rund um das Marmarameer. Laut der Untersuchung sind rund 1,6 Millionen Menschen durch Sturmfluten, Küstenerosion und den Anstieg des Meeresspiegels in akuter Gefahr.

Die Studie wurde von Prof. Dr. Cem Gazioğlu und Prof. Dr. Gürcan Büyüksalih von der Universität Istanbul in Zusammenarbeit mit Yochi Okta Andrawina (Nanyang Technological University, Singapur) und Prof. Dr. Helwis Liufandy (Diponegoro University, Indonesien) durchgeführt und im Fachjournal Journal of Coastal Conservation veröffentlicht. Grundlage der Analyse war das international anerkannte InVEST Coastal Vulnerability Model, das zum ersten Mal umfassend auf das halboffene Marmarameer angewendet wurde.

60 % der Küsten mittlerem, 12 % hohem Risiko ausgesetzt

Die Studie zeigt: Besonders gefährdet sind die Ostküste Istanbuls, der Norden Yalovas, der Süden Kocaelis sowie Teile von Bursa, Balıkesir und Çanakkale. Die Kombination aus natürlicher Verwundbarkeit und starker menschlicher Eingriffe erhöht dort das Risiko erheblich.

Risikoverteilung nach Provinzen (Anteil der hochgefährdeten Bevölkerung):

  • Kocaeli: 26,5 %

  • Yalova: 18,4 %

  • Bursa: 18,2 %

  • Tekirdağ: 16,6 %

  • Istanbul: 12,2 %

  • Çanakkale: 11,1 %

  • Balıkesir: 10,1 %

Während Orte wie Tekirdağ und der Bereich rund um die Dardanellen (Çanakkale Boğazı) aufgrund natürlicher Schutzlagen als weniger verwundbar gelten, verschärfen sich die Risiken in anderen Regionen durch Erosion, Verlust von natürlichen Habitaten, industrielle Belastung und starke Urbanisierung.

“Küsten sind verwundbar – Risiken wachsen”

Prof. Dr. Cem Gazioğlu erklärte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AA: „Unsere Küsten werden durch den Klimawandel, den steigenden Meeresspiegel und den menschlichen Eingriff immer verwundbarer. Natürliche Küstenlinien sind vielerorts verschwunden, ersetzt durch Beton, Häfen und Bebauung. Wir brauchen dringend eine ökologisch und integrativ gedachte Küstenpolitik.“

Prof. Dr. Gürcan Büyüksalih ergänzt: „Die Bedrohung betrifft nicht nur die Türkei. Vom Golf von Bengalen bis zur niederländischen Nordseeküste, von Florida bis zu den Pazifikinseln – weltweit sind Millionen Menschen ähnlichen Risiken ausgesetzt. Deshalb müssen lokale Lösungen auch Teil einer globalen Verantwortung sein.“

Die Forschenden fordern, für jede Küstenstadt eigene Schutz- und Anpassungsstrategien zu entwickeln. Der Schutz von Seegraswiesen, Feuchtgebieten und Küstenwäldern, sowie eine integrierte Küstenzonenplanung seien entscheidend, um die regionale Widerstandsfähigkeit zu stärken. „Was wir heute tun, entscheidet über die Katastrophen von morgen. Wenn wir jetzt handeln, können wir soziale Krisen, wirtschaftliche Verluste und ökologische Zerstörung verhindern“, so Gazioğlu.