Istanbul im Erdbeben-Fokus: Griechischer Seismologe warnt vor Mega-Beben – türkischer Experte widerspricht

12.05.2025 – 17:00 Uhr

Istanbul steht wieder im Mittelpunkt der Erdbebendiskussion. Der griechische Seismologe Efthymios Lekkas schlägt Alarm: In den kommenden Jahren könnte ein starkes Erdbeben mit einer Magnitude von bis zu 7,8 die Millionenmetropole erschüttern. Ursache sei das letzte ungebrochene Segment der Nordanatolischen Verwerfung, das direkt unter Istanbul liegt.

Lekkas, Professor für Tektonik und Katastrophenmanagement an der Universität Athen, warnt vor einem zunehmenden Spannungsaufbau entlang der Verwerfung. „Je länger das Beben ausbleibt, desto mehr Energie hat sich angesammelt – und desto heftiger wird es ausfallen“, sagte er griechischen Medienberichten zufolge. Seinen Prognosen zufolge könnte das Ereignis zwischen 2027 und 2028 eintreten. Besorgniserregend ist laut Lekkas auch die enorme Bevölkerungsdichte: In Istanbul leben rund 17 Millionen Menschen auf engstem Raum. Er fordert deshalb drastische Maßnahmen, unter anderem den Abriss eines Drittels der Altbauten und eines Drittels der nicht erdbebensicheren Neubauten.

Doch nicht alle Experten teilen seine Einschätzung. Der türkische Geologe Mehmet Salih Bayraktutan hält die Warnungen für übertrieben und sieht keine akute Gefahr für Istanbul. Die geologische Struktur des Nordanatolischen Grabenbruchs im Marmarameer sei viel komplexer. Statt eines durchgehenden Bruchs handele es sich um eine Vielzahl kleinerer, von Schlammschichten durchzogener Segmente, die seismische Energie eher dämpfen als weiterleiten. Die jüngsten Beben vom 23. April zeigten, dass sich die seismische Aktivität weiter nach Westen – weg von der Stadt – verlagere.

Unterstützung bei der Einschätzung der Erdbebengefährdung bietet nun auch die überarbeitete Erdbebengefahrenkarte der türkischen Katastrophenschutzbehörde AFAD. Nach einer Reihe von Erdbeben in jüngster Zeit wurde sie aktualisiert, um die aktuellen geologischen Verhältnisse genauer abzubilden. Die Karte, die im Januar 2019 erstmals im aktuellen Format erschienen ist, basiert nun auf 485 aktiven Störungssegmenten und stellt die potenziellen Bodenbewegungen für jeden Ort differenziert dar – von hellgelb (geringe Gefahr) bis dunkelrot (hohe Gefahr).

Der Geologieprofessor Orhan Tatar betonte gegenüber CNN Türk, dass die Karte laufend mit neuen Störungsdaten ergänzt werde und eine wichtige Grundlage für Stadtplanung, erdbebensicheres Bauen, Versicherungen und Katastrophenschutzmaßnahmen sei. Sie ermögliche nicht nur fundierte politische Entscheidungen, sondern sei auch für Privatpersonen und Touristen über das E-Government-Portal (tdth.afad.gov) zugänglich.

Allerdings sei die Karte kein direktes Risikoinstrument, warnen Experten wie der Geologe Aykut Akgün. Sie zeige die maximale Bodenbeschleunigung – also die theoretisch stärkste Erschütterung an einem Ort. Aspekte wie lokale Bodenverhältnisse oder die Beschaffenheit von Gebäuden müssten gesondert berücksichtigt werden, ergänzte Teoman Selçuk Köksal.