Unsichtbare Gefahr in der Türkei: Mikro-Erdbeben lösen Hangrutsche aus

Bilder: DHA
09.11.2025 – 8:00 Uhr

Trabzon – In der Nordosttürkei könnten selbst kaum spürbare Erdbeben ernste Folgen haben. Geologe Prof. Dr. Osman Bektaş warnt, dass die in den letzten Tagen im Osten des Schwarzen Meeres registrierten Mikroerdbeben gefährliche Hangrutschungen auslösen können. „Ein kaum spürbares Beben der Stärke 2,4 kann bereits Erdrutsche entlang der Küste anstoßen“, sagte der Experte. „Klimatische Faktoren, starke Niederschläge, seismische Aktivität, steile Topographie und zerklüftetes Gestein wirken hier zusammen.“

Der Nordosten der Türkei ist ohnehin stark gefährdet: Durch den Klimawandel kommt es häufiger zu extremen Regenfällen, die in der gebirgigen Region immer wieder zu Erdrutschen, Überschwemmungen und Infrastruktur-Schäden führen. Nun rücken auch unterirdische Risiken in den Fokus.

„Die Schwarzmeer-Verwerfung ist eine reale Bedrohung“

Bektaş verweist auf frühere Beben in der Region: „Das Mikroerdbeben bei Yomra zeigt, dass hier aktive Bruchlinien existieren. Bereits 2012 löste die Trabzon-Verwerfung ein Beben der Stärke 5,6 vor Batum aus, dessen Nachbeben bis nach Trabzon reichten.“ Auch die Schwarzmeer-Verwerfung, die 1968 ein Beben der Stärke 6,6 bei Bartın verursachte, sei für die Küstengebiete zwischen Rize und Trabzon eine ernsthafte Gefahr.

Marode Gebäude und Küstenaufschüttungen erhöhen das Risiko

Die Region sei auf ein starkes Beben kaum vorbereitet, betont Bektaş:
„AFAD hat in seiner Erdbebengefahrenkarte von 2019 das Risiko für Trabzon verdoppelt, für Rize sogar verdreifacht. Küstenabschnitte bestehen teils aus aufgeschüttetem Sandboden, dazu kommen Hanglagen und alte Gebäude, die nicht erdbebensicher gebaut sind.“

Viele dieser Bauten litten zudem unter Korrosion – rostende Bewehrungseisen schwächen die Tragstruktur. „Gerade in Rize sind Gebäude durch Salzwasser stark angegriffen, weshalb die Stadt bereits auf städtische Erneuerung setzt“, so der Geologe.

Neue seismische Aktivität seit dem Erdbeben von Kahramanmaraş

Nach dem verheerenden Beben von Kahramanmaraş 2023 habe sich zwischen Trabzon und Rize eine ganze „Mikroerdbeben-Wolke“ gebildet, erklärt Bektaş. „2024 registrierten wir in Rize-Çamlıhemşin ein Beben der Stärke 4,8, kurz darauf kam es in Arhavi zu einem Hangrutsch – und das ohne Regen. Das zeigt, wie direkt Erdbeben solche Bewegungen auslösen können.“

„Unbemerkte Beben, unterschätzte Wirkung“

Die Zahl der kleinen Beben an der Schwarzmeerküste sei hoch, warnt Bektaş:
„In den Aufzeichnungen von AFAD und Kandilli finden sich hunderte Mikroerdbeben entlang der Trabzoner Küste. Auch wenn wir sie nicht spüren – sie wirken auf ohnehin instabile Hänge ein.“

Der Wissenschaftler fordert, gefährdete Gebiete geologisch neu zu bewerten, Bauvorschriften konsequent durchzusetzen und Hangstabilisierungen technisch zu verbessern. „Die Natur gibt uns Warnsignale“, sagt Bektaş. „Wir müssen sie ernst nehmen, bevor aus Mikroerdbeben Makro-Katastrophen werden.“