Der Tod der türkischen Influencerin Nihal Candan infolge einer schweren Essstörung hat landesweit eine Debatte über gefährliche Schönheitsideale und den wachsenden Druck auf junge Frauen ausgelöst. Expert:innen und Frauenrechtsorganisationen warnen vor einer sich abzeichnenden Gesundheitskrise in der Türkei – befeuert durch soziale Medien, Promi-Kultur und gesellschaftliche Erwartungen.
Nihal Candan, die durch eine Reality-TV-Show Bekanntheit erlangte und später in einem Geldwäscheverfahren inhaftiert wurde, verstarb am 20. Juni während einer Krankenhausbehandlung, nachdem ihr Herz zum zweiten Mal stehen blieb. Medienberichten zufolge wog sie zum Zeitpunkt ihres Todes nur noch 23 Kilogramm.
Schönheitsdruck mit tödlichen Folgen
Candan litt an Anorexia nervosa, einer psychischen Erkrankung, die durch extremes Hungern und eine panische Angst vor Gewichtszunahme gekennzeichnet ist. Besonders betroffen sind junge Frauen, zunehmend aber auch Männer.
Ärzt:innen und Psycholog:innen sehen einen klaren Zusammenhang zwischen der Zunahme von Essstörungen und verzerrten Körperbildern, die in sozialen Medien propagiert werden.
„Gefilterte, retuschierte Bilder, Influencer, die Puppen ähneln wollen, und Filmproduktionen, die ein einziges Schönheitsideal zeigen – all das beeinflusst unser kollektives Körperbild massiv“, sagt der Psychiater Taha Can Tuman. Dies führe häufig zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, Schamgefühlen und psychischen Erkrankungen wie Magersucht oder Körperdysmorphie.
Schönheit als soziales Kapital
Soziologe Prof. Barış Erdoğan betont, dass äußere Erscheinung zunehmend als soziales Kapital gewertet werde: „Wer den Schönheitsidealen entspricht, wird sozial und wirtschaftlich belohnt. Wer nicht mithalten kann, erlebt Ausgrenzung – das schürt kollektive Ängste und gesundheitliche Probleme.“
Frauenverbände schlagen Alarm
Auch Frauenrechtsorganisationen reagierten erschüttert auf Candans Tod. Die Türkische Föderation der Frauenverbände (TKDF) kritisierte in einer Stellungnahme, dass „perfekte Körperfantasien“ und der allgegenwärtige Druck, stets schön erscheinen zu müssen, lebensgefährliche Ausmaße angenommen hätten.
„TV-Shows und Schönheitswettbewerbe, die Frauen zur Ware machen, drängen sie dazu, gesundheitlich riskante Wege zu gehen. Was hier geschah, ist nicht nur ein individueller Schicksalsschlag, sondern Ausdruck tief verwurzelter gesellschaftlicher Ungleichheiten“, heißt es in dem Statement.
Forderung nach gesellschaftlichem Umdenken
Fachleute und Aktivist:innen fordern nun mehr Aufklärung, psychologische Präventionsarbeit und eine kritische Auseinandersetzung mit den in Medien vermittelten Schönheitsbildern – um künftig weitere Tragödien wie diese zu verhindern.