Nach dem jüngsten Erdbeben in der türkischen Provinz Balıkesir schätzten zwei bekannte Seismologen die Auswirkungen auf die Metropole Istanbul als gering ein. Zugleich wurde erneut die schlechte Bauqualität vieler Gebäude sowie die soziale Ungleichheit bei der Katastrophenvorsorge kritisiert.
Wie die Experten Prof. Dr. Ahmet Ercan und Prof. Dr. Şener Üşümezsoy in verschiedenen Medienauftritten erklärten, hatte das Beben der Stärke 6,1 nahe dem Kreis Sındırgı keine unmittelbaren Auswirkungen auf die erdbebengefährdete Region Marmara, in der Istanbul liegt.
Prof. Dr. Şener Üşümezsoy präzisierte, dass das Beben nicht direkt unter Sındırgı, sondern in den südöstlich gelegenen Bergen stattgefunden habe. Es handele sich um das Nachklingen einer bereits bekannten Verwerfung. „Sie sollten von dort kein größeres Beben erwarten”, so Üşümezsoy. Auf die Frage, ob das Beben ein Vorbote für ein großes Marmara-Beben sein könne, entgegnete er, dass zwar Spannung in der Region abgebaut werde, dies das erwartete schwere Beben im Marmarameer aber nicht beeinflusse.
Kritik an Baumängeln und sozialer Ungerechtigkeit
Unabhängig von der geologischen Einschätzung kritisierte Prof. Dr. Ahmet Ercan die baulichen Mängel in der Region. Viele der eingestürzten oder beschädigten Gebäude stünden auf dem Boden eines ausgetrockneten Sees, was die Erschütterungen verstärkt habe. „In einem Land, das schlecht regiert wird, nehmen die Zerstörungen durch Erdbeben zu“, wurde Ercan zitiert.
Zudem machte er eine soziale Ungleichheit bei der Katastrophenvorsorge aus. Während in Istanbul vor allem die Gebäude wohlhabender Bürger in das Programm der städtischen Erneuerung einbezogen würden, stürzten die Häuser armer Menschen ständig ein.
Als Lösung forderte Ercan die Einführung eines „Baugrund-Sicherheitszertifikats“, das im Grundbuch eingetragen werden muss. Ein Haus ohne dieses Zertifikat dürfte weder verkauft noch vermietet werden. Nur wenn wirtschaftliche Probleme gelöst seien, hätten Erdbeben nicht zwangsläufig den Namen „Tod“, so der Professor.