In der nordtürkischen Provinz Bolu spielt sich ein ungewöhnliches Rennen gegen die Zeit ab: Der kleine Bezirk Kıbrıscık muss bis Jahresende 350 neue Einwohner finden – sonst verliert er nach fast 70 Jahren seinen Status als eigenständiger Verwaltungsbezirk und wird zu einem gewöhnlichen Dorf herabgestuft.
Der Ort, der 1958 offiziell zum Bezirk erklärt wurde, ist von starkem Bevölkerungsrückgang betroffen. Die Einwohnerzahl ist inzwischen unter die gesetzlich festgelegte Mindestgrenze von 2.000 Personen gefallen.
Bei einer Bürgerversammlung, die kaum Besucher anzog, appellierte Bürgermeister Emin Tekemen eindringlich an ehemalige Einwohner, ihren Wohnsitz wieder in Kıbrıscık anzumelden.
„Uns fehlen nur noch 350 Menschen“, sagte Tekemen mit zitternder Stimme. „Wenn wir das bis zum Jahresende nicht schaffen, ist unser Bezirk Geschichte. Ich möchte nicht als der letzte Bürgermeister eines verlorenen Landkreises in Erinnerung bleiben.“
In den vergangenen Monaten sei die Bevölkerung durch Rückkehraktionen bereits von 1.025 auf rund 1.430 gestiegen, berichtete Tekemen. Dennoch sei die Beteiligung der im In- und Ausland lebenden Kıbrıscıklı entscheidend.
„Das kann einer allein nicht schaffen. Wir brauchen die Hilfe unserer Bürger – jeder, der kann, soll seinen Wohnsitz hierher verlegen“, forderte der Bürgermeister.
Der Fall von Kıbrıscık steht stellvertretend für eine landesweite Entwicklung: In den letzten 25 Jahren ist der Anteil der Landbevölkerung in der Türkei von rund 35 Prozent auf nur noch 6,6 Prozent gesunken. Immer mehr junge Menschen ziehen in Großstädte, um dort Bildung und Arbeit zu finden.
Die Regierung plant deshalb ein Förderprogramm für sogenannte „Rückwanderung in die Heimatorte“, um Menschen mit finanziellen Anreizen zur Rückkehr in ländliche Regionen zu bewegen – und damit Orte wie Kıbrıscık vor dem Aussterben zu bewahren.