“Irrtums- und Versagenssystem” – Gericht veröffentlicht Urteilsbegründung im Kartalkaya-Hotelbrand mit 78 Toten

Bild: DHA
09.12.2025 – 17:00 Uhr

Im Verfahren um den verheerenden Brand im Grand Kartal Hotel in Kartalkaya – bei dem 78 Menschen starben und 137 verletzt wurden – hat das Gericht seine 406 Seiten umfassende Urteilsbegründung veröffentlicht. Die Begründung zeichnet ein Bild schwerster Pflichtverletzungen, bewusster Ignoranz gegenüber Sicherheitsrisiken und eines ganzen „Irrtums- und Versagenssystems“, das die Katastrophe möglich machte.

Der Brand gilt als sechstgrößte Hotelbrand-Tragödie weltweit.

„Goldene Zeit“ ungenutzt: Gericht spricht von bewusstem Risiko

Die Richter stellten fest, dass die Verantwortlichen wesentliche Sicherheitsmängel kannten, sie jedoch „aus Kostengründen“ bewusst nicht behoben hätten. Zudem sei die kritische erste Phase des Brandes – die sogenannte „goldene Zeit“, in der Menschen hätten evakuiert werden können – nicht genutzt worden.

In der Begründung heißt es, das Verhalten der Verantwortlichen gehe weit über bewusste Fahrlässigkeit hinaus: Die Angeklagten hätten mit ‚olursa olsun‘-Haltung (‚wenn es passiert, passiert es eben‘) gehandelt und seien daher wegen des Eventualvorsatzes schuldig.

Schwere Mängel, manipulierte Prüfungen, fehlende Warnung der Gäste

Das Gericht beschreibt zahlreiche gravierende Versäumnisse:

  • fehlende oder defekte Alarm- und Brandmeldesysteme

  • keine Sprinkleranlage

  • unzureichende Notbeleuchtung und Fluchtwege

  • veraltete oder fehlerhafte Strom- und Gasinstallationen

  • nicht funktionierende Rauchabzüge

  • keine regelmäßigen Sicherheitsunterweisungen für Personal

Hinzu kommt laut Urteil ein besonders belastender Punkt: Die Hotelleitung soll während des Feuers die Anweisung “Informiert die Gäste nicht, weckt das Personal und löscht das Feuer” gegeben haben.

Zudem hätten Mitglieder der Eigentümerfamilie das Feuer als erste bemerkt, aber niemanden gewarnt und das Gebäude zügig verlassen.

Massive Strafen für Eigentümer und Führungskräfte

Bereits am 31. Oktober hatte das Gericht harte Urteile gefällt:

  • 11 Angeklagte, darunter die Eigentümer Halit Ergül, Emine Ergül, Elif Aras und Ceyda Hacıbekiroğlu,
    34-fach lebenslänglich wegen „olası kastla öldürme“ zum Tod von 34 Kindern
    sowie zusätzlich 44 × 24 Jahre und 11 Monate für die erwachsenen Opfer.

Weitere Angestellte, technische Verantwortliche und Behördenmitarbeiter erhielten Freiheitsstrafen zwischen 12 und 22 Jahren.
Drei Angeklagte wurden freigesprochen.

Ein „System aus Versäumnissen“

Die Richter betonen, dass es sich nicht um einen einzelnen Fehler, sondern um eine lange Kette bewusster Entscheidungen gehandelt habe, die das Risiko erhöht und schließlich in der Tragödie geendet hätten.

Das Gericht spricht ausdrücklich von einer Kette von Unterlassungen.