In einem aktuellen Video auf seinem YouTube-Kanal hat der renommierte Geologe Prof. Dr. Şener Üşümezsoy vor einer Fehleinschätzung der Erdbebengefahr in der Marmara-Region gewarnt. Entgegen weit verbreiteter Annahmen seien nicht die Adalar-Verwerfung unterhalb der Prinzeninseln, sondern zwei bislang weniger beachtete Verwerfungen südlich von Istanbul – die Bozburun- und die Sarıköy-Verwerfung – die größte Bedrohung.
Üşümezsoy, der bereits das Erdbeben vom 23. April bei Silivri mit einer Stärke von 6,2 korrekt vorausgesagt hatte, widerspricht der oft zitierten Prognose eines möglichen Bebens der Stärke 7,2 in Istanbul. Diese Einschätzung beruhe auf „unzutreffenden Modellen und wissenschaftlich nicht haltbaren Annahmen“.
Adalar-Verwerfung nicht für „großes Beben“ geeignet
Besonders kritisch sieht Üşümezsoy die weitverbreitete Einschätzung zur Adalar-Verwerfung im Marmarameer. Zwar gebe es dort seismische Aktivität, doch die Struktur der Verwerfung – insbesondere ihre geringe Tiefe – mache es unwahrscheinlich, dass dort ein Erdbeben mit einer Magnitude über 6,5 auftreten könne. Das jüngste Beben bei Silivri habe genau in diesem Segment stattgefunden und seine Analysen bestätigt.
Die eigentlichen Gefahrenzonen: Bozburun und Sarıköy
Als deutlich gefährlicher stuft der Geowissenschaftler hingegen zwei andere Bereiche ein:
- Bozburun-Verwerfung (bei der Halbinsel Armutlu): Seit dem verheerenden Gölcük-Erdbeben von 1999 ist diese Verwerfung stark gespannt, jedoch bisher nicht gebrochen, was ein erhebliches Risiko darstellt.
- Die Sarıköy-Verwerfung (Süd-Marmara): Auch diese Zone hat laut Üşümezsoy seit dem Erdbeben von 1953 bei Yenice-Gönen große Spannungen aufgebaut. Dies stelle eine reale Gefahr für die südliche Marmara-Region dar.
Entspannung in anderen Regionen
Für die Gegend um Tekirdağ und das Saros-Gebiet gibt es hingegen beruhigende Nachrichten. Dort wurde durch das Erdbeben von 1912 bei Şarköy-Mürefte bereits eine große Menge seismischer Energie freigesetzt. Üşümezsoy sieht deshalb in diesen Regionen kurzfristig keine Gefahr eines starken Bebens.
Aufruf zu sachlicher Analyse
Mit seiner Warnung fordert Prof. Üşümezsoy eine neue Bewertung der Gefahrenlage im Marmara-Gebiet und mehr wissenschaftliche Präzision in der öffentlichen Diskussion. „Panikmache ohne fundierte Grundlage hilft niemandem – wir müssen unsere Modelle ständig überprüfen und an neue Erkenntnisse anpassen“, so sein Appell.