Nach einem offiziellen Gespräch im Präsidentenpalast in Ankara hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer gemeinsamen Pressekonferenz die Haltung Deutschlands zum Krieg in Gaza scharf kritisiert und Bundeskanzler Friedrich Merz zu einem deutlicheren Eingreifen aufgefordert. Zugleich betonten beide Seiten ihr Interesse an vertieften wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen Ankara und Berlin.
Erdoğan warf der Bundesregierung vor, die Lage in Gaza nicht ausreichend als Völkermord anzuerkennen, und belegte seine Kritik mit hohen zivilen Opferzahlen. Er betonte, dass die militärischen Kapazitäten, die den Gazastreifen beträfen, seiner Darstellung zufolge überwiegend bei Israel lägen, und wiederholte seine Forderung nach einem sofortigen Ende der Kampfhandlungen sowie einer ungehinderten humanitären Versorgung.
Bundeskanzler Merz bekräftigte in seiner Antwort die langjährige staatliche Solidarität Deutschlands mit Israel, stellte aber zugleich klar, dass dies nicht automatisch jede Entscheidung der israelischen Regierung rechtfertige. Er verwies auf das Existenzrecht Israels sowie auf die Bedeutung, Opfer zu vermeiden und humanitäre Hilfe zu ermöglichen.
Beide Politiker sprachen außerdem über eine Reihe bilateraler Zukunftsthemen. Erdoğan nannte wirtschaftliche Zielmarken: Die Beziehungen mit Deutschland seien „ausgezeichnet“ und Deutschland sei der wichtigste Handelspartner der Türkei in Europa. Das bilaterale Handelsvolumen solle von derzeit rund 50 Milliarden US-Dollar auf 60 Milliarden gesteigert werden. In diesem Kontext begrüßte die türkische Seite Merz’ positive Signale zur Beschaffung von Eurofighter-Kampfjets und bezeichnete eine verstärkte Verteidigungskooperation als mögliches Feld für die künftige Zusammenarbeit.
Erdoğan stellte klar, dass Ankara eigene „Ankara-Kriterien“ aufstelle, falls europäische Standards wie die Kopenhagen-Kriterien als Maßstab für die Türkei angelegt würden. Er betonte zugleich, dass die Türkei kein „gewöhnliches“ Land sei und über eine präsente Rolle in Europa, Asien und weltweit verfüge. Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit kommentierte er mit dem Hinweis, die Justiz müsse dort handeln, wo staatliche Stellen Rechtsnormen verletzten – dies bezog er auch auf Vorgänge in Istanbul, namentlich die polizeiliche bzw. juristische Aufarbeitung von Vorgängen in der Stadtverwaltung.
In weiteren Punkten äußerten beide Seiten ihre Erwartungen an eine verstärkte Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung und erörterten regionale Krisen. Erdoğan nannte Syrien und wies auf die Bedeutung der Umsetzung des Abkommens vom 10. März sowie auf eine Perspektive für den Wiederaufbau und die Normalisierung hin. Merz sprach sich für diplomatische Bemühungen zur Lösung des Ukraine-Kriegs aus und hob die strategische Bedeutung der türkisch-deutschen Beziehungen für die Sicherheit Europas hervor.