775 Millionen Euro für Visa: Türkische Bürger zahlen den Preis für Europas Blockade

(Bildquelle: Hürriyet)
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19.07.2025 – 7:00 Uhr

Trotz jahrzehntelanger Beziehungen zur Europäischen Union und des offiziellen Status als EU-Beitrittskandidat sehen sich türkische Staatsbürger weiterhin massiven Hürden bei der Beantragung von Schengen-Visa ausgesetzt. Während Länder wie Albanien, Bosnien-Herzegowina oder die Ukraine ihren Bürgern visafreie Einreisen in die EU ermöglichen, müssen türkische Bürger nach wie vor „tausend Hürden” überwinden und tief in die Tasche greifen.

Eine halbe Milliarde für einen Stempel

Wie Ayhan Zeytinoğlu, der Vorsitzende der İktisadi Kalkınma Vakfı (Wirtschaftsförderungsstiftung – İKV), mitteilt, haben türkische Bürger in den vergangenen 15 Jahren allein 775 Millionen Euro für Schengen-Visumanträge bezahlt. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs: Diese Summe umfasst ausschließlich die offiziellen Antragsgebühren, nicht jedoch zusätzliche Kosten wie Übersetzungen, Bankunterlagen, Notarleistungen, Reisen zu Konsulaten oder Gebühren für bevorzugte Termine bei externen Dienstleistern.

„Ein Wirtschaftszweig ist daraus entstanden”, sagt Zeytinoğlu. Für viele Unternehmen, Konsulate und Vermittler ist das Visumsystem zu einem lukrativen Geschäft geworden. Leidtragende sind Geschäftsleute und Studierende, die trotz Einladungsschreiben oder Studienplatz an europäischen Hochschulen häufig mit Ablehnungen oder endlosen Wartezeiten konfrontiert werden.

„Gleichbehandlung“ bleibt Wunschdenken

Besonders bitter erscheint der Vergleich mit anderen Ländern der Region. Viele osteuropäische Staaten, die sich erst nach der Türkei um einen EU-Beitritt beworben haben, sind inzwischen Vollmitglieder oder genießen visafreien Zugang. Kroatien etwa begann die EU-Verhandlungen am selben Tag wie die Türkei und ist seit 2013 Mitglied. Bürger aus Moldawien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, der Ukraine oder Georgien können visafrei in die EU reisen. Türkische Bürger hingegen benötigen nach wie vor ein Visum, selbst für kurze Geschäftsreisen.

Dabei ist die Türkei nicht nur offizieller EU-Beitrittskandidat, sondern auch seit Jahrzehnten Partner im Gemeinsamen Zollabkommen mit der EU. Während Waren frei zirkulieren, müssen die Menschen, die diese Waren produzieren oder vertreiben, komplizierte Visa-Prozesse durchlaufen. „Produkte sind frei – Menschen nicht“, kommentiert Zeytinoğlu sarkastisch.

Stillstand im Visa-Dialog

Zwar startete die Türkei bereits 2013 einen Dialog mit der EU zur Visaliberalisierung. Dafür wurden 72 Kriterien vereinbart, darunter Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, Reformen im Anti-Terror-Gesetz sowie eine engere Zusammenarbeit mit Europol und im Justizbereich. Laut İKV wurden bisher 66 dieser Kriterien erfüllt. Sechs stehen noch aus, doch der Prozess ist in den letzten Jahren weitgehend ins Stocken geraten.

„Wir haben große Fortschritte gemacht, aber zuletzt ist kaum noch etwas passiert“, kritisiert Zeytinoğlu. Besonders die Reform des Anti-Terror-Gesetzes, welche eine präzisere Abgrenzung zwischen Extremismus und Meinungsfreiheit erfordert, gilt als politische Hürde. Doch selbst diese Reform wurde bereits vom Europarat empfohlen, dessen Mitglied die Türkei ist.

Rufe nach Fairness und Bewegung

Die İKV fordert daher ein Umdenken in Brüssel und mehr Gerechtigkeit gegenüber türkischen Bürgerinnen und Bürgern. „Wenn wir über eine Modernisierung der Zollunion sprechen, muss auch das Visumserfordernis auf den Tisch“, fordert Zeytinoğlu. Das jetzige System errichte „unsichtbare Mauern“, die den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch erschwerten.

Seit dem türkischen EU-Beitrittsantrag im Jahr 1987 hat sich die geopolitische Landschaft stark verändert. Staaten, die damals nicht einmal unabhängig waren, genießen heute Vorzugsrechte. Die Türkei hingegen bleibt außen vor – trotz eines Milliardenaufwands, ihrer geopolitischen Relevanz und ihrer jahrzehntelangen Partnerschaft.